Inventarnr.
2013-1002
Systematik
215.02.06 Pharmazie / Arzneimittel / Verhütungsmittel
Identität
Original
Beschreibung
Am 1. Juni 1961 brachte das Berliner Pharmaunternehmen Schering ein Präparat namens Anovlar auf den deutschen Markt. Eine Packung kostete 8,60 Deutsche Mark, darin waren 20 Dragees mit einer Kombination der Hormone Östrogen und Gestagen. Zuerst bewarb Schering das neue Produkt, dessen aus dem Lateinischen abgeleiteter Name soviel wie »kein Eisprung« bedeutete, als Medikament gegen Zyklusstörungen. In den für Ärzte verfassten Informationen stand jedoch zu lesen: »In diesem künstlichen anovulatorischen Zyklus tritt keine Konzeption ein«. Oder anders ausgedrückt: Anovlar eignete sich zur Empfängnisverhütung – und war auch eigens dafür entwickelt worden.
Es basierte auf der von Schering unterstützten Forschung des belgischen Gynäkologen Ferdinand Peeters (1918 –1998). Dieser hatte schließlich mit einer Mischung aus 0,05 Milligramm des Östrogens Ethinylestradiol und 4 Milligramm des Gestagens Norethisteronacetat Erfolg gehabt. Das Östrogen unterbindet dabei die Reifung der Eizellen, während das enthaltene Gestagen, falls doch ein Eisprung stattfand, die Befruchtung und Einnistung in die Gebärmutter verhindert. In den USA war im August 1960 bereits das Konkurrenzprodukt Enovid auf den Markt gekommen, das ebenfalls zunächst als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden angepriesen wurde. Die von Peeters eingesetzte Hormondosis war deutlich geringer, und die Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel und Kopfschmerzen traten deutlich reduziert auf.
Bereits einen Monat nach Markteinführung wurde die Öffentlichkeit durch die Presse auf das neue Medikament aufmerksam. Der Stern schrieb im Juni: »Wir können heute schon mit Gewissheit sagen, dass an diesem Tag ein gewaltiger Schritt vorwärts getan wurde zur Lösung eines der brennendsten Probleme, das sich im Zusammenleben von Frau und Mann ergibt: das Problem der Geburtenregelung und darüber hinaus, das der Familienplanung«. Von Seiten des Herstellers wurde den Ärzten aus Furcht vor moralischen Bedenken empfohlen, das Medikament nur verheirateten Frauen mit mindestens zwei Kindern zu verschreiben. So ist es nicht verwunderlich, dass drei Jahre nach Einführung erst 1,7 Prozent der westdeutschen Frauen diese Antibabypille verwendeten, acht Jahre später waren es allerdings bereits 25 Prozent. 1963 wurde schließlich auch in der DDR eine eigene Antibabypille unter dem Namen Ovosiston produziert und ab 1965 sogar kostenlos verteilt. Selbstbewusst wurde sie als »Wunschkindpille« beworben.