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Welche Teile des Wals wurden wofür verwendet?



Das wichtigste für die Walfänger war der Tran, der in Europa und der Welt teuer verkauft werden konnte. Er wurde unter anderem für die Straßenbeleuchtung oder für Öllampen verwendet.1 Für die Herstellung von Wachskerzen wurde das Öl des Pottwals verwendet. Für die Herstellung von Walöl benötigte man Walspeck. Nach seiner Tötung wurde dem Wal zunächst die Schwanzflosse abgeschnitten, der Schwanzstumpf gelöchert und nach hinten gebunden.2 Der an einer Schleppleine zum Schiff gebrachte Walkadaver wurde nun längsseits am Schiff vertäut.

Dann begann die eigentliche Arbeit: Zum Abspecken des Wals, dem sogenannten Flensen, wurden verschiedene Gerätschaften benutzt: Beile, Speck- und Flensmesser sowie Speckstecher.

Der Speckschneider stellte sich zum Flensen mit unter die Schuhe geschnallten Specksporen direkt auf den Walkörper. Die Sporen verhinderten, dass er bei seiner blutigen und schleimigen Tätigkeit abrutschte und ins eiskalte Meer fiel.

Das Flensmesser wurde verwendet, um den Speck vom Körper des Wals abzutrennen.

Mit dem Speckmesser wurde der Walspeck dann in kleinere Stücke geschnitten.

Before After

Dieser Walzahn, der sich im Besitz des Deutschen Museums befindet und etwa so lang wie ein kleines Lineal ist, wurde poliert und dann mit dem Bild eines Bartenwals graviert. Der Zahn stammt jedoch von einem Zahnwal. Der dort dargestellte, zur weiteren Bearbeitung mit Seilen umwickelte und so aufgehängte Wal wird auf dem Zahn in einzelne Sektionen eingeteilt, in die er tranchiert werden kann. Sie wurden zum Teil auf Englisch beschriftet: „BLANKET / PIECES“ (Stücke der Außenschicht/Deckhaut), „FIN“ (Flosse), „FLUKE“ (Fluke = Schwanzflosse). Die bis zu 50 cm dicke Fettschicht – der Blubber – wird dabei in Längsstreifen geschnitten und dann abgezogen. Dabei wird der Wal gedreht.

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Nun, wie der Speck den Wal genauso umschließt, wie’s die Schale bei einer Apfelsine tut, so wird er auch genauso vom Körper abgelöst, wie eine Apfelsine manchmal spiralförmig geschält wird.

(Melville 2016, Kap. 67: Abspecken)

Now as the blubber envelopes the whale precisely as the rind does an orange, so is it stripped off from the body precisely as an orange is sometimes stripped by spiralizing it.

(Melville 2014, Chap. 67: Cutting In)

Die mit dem Speckmesser weiter zerlegten Speckstücke wurden dann durch das Flensgatt unter Deck geworfen, wo Matrosen sie in kleineren Stücken in Speckfässer verpackten. Sie wurden den bestialischen Gestank nicht mehr los, der beim Flensen entstand und wurden deshalb als „Stinker“ bezeichnet.5 Die Fässer wurden unter Deck aufbewahrt und in den Zielhafen transportiert.

Das Speckschneiden war die körperlich schwerste Arbeit an Bord. Es wurde bei viel Beute aber verhältnismäßig gut entlohnt, da der Speckschneider – wie der Kommandeur, Steuermann und Harpunier – eine Gewinnbeteiligung erhielt.6

Die stunden- oder sogar tagelange Arbeit musste schnell verrichtet werden, da sich bei höheren Temperaturen Fäulnisgase im Inneren des Walkadavers bildeten und dieser explodieren konnte. Wurden viele Wale gleichzeitig gefangen, kooperierten die Walfänger beim Flensen mitunter mit der lokalen Inuitbevölkerung, die jahrhundertelange Jagdexpertise besaßen.7

Zur Zeit der Baienfischerei wurde das Auskochen des Trans im nächstgelegenen Hafen vor Spitzbergen am Stützpunkt Smeerenburg („Tranburg“) erledigt. Später konnte der Tran auf dafür ausgelegten Mutterschiffen wie den niederländischen Bootschiffen oder der „Charles W. Morgan“ vor Ort ausgekocht werden. Außerdem kamen in Heimathäfen extra zu diesem Zweck errichtete Trankocherei-Anlagen in Frage.

Dieses Modell zeigt die einzelnen Arbeitsschritte in der Trankocherei, die 1845 am Hafen von Wyk auf Föhr eingerichtet wurde:8 Die in den Speckfässern antransportierten Speckstücke, die etwa der Größe eines Buches entsprachen, werden in einer Kupferpfanne mehrere Stunden lang unter Rühren gekocht. Mit Löffeln wird der Tran dann in eine Rinne gegeben, durch die er über ein Rost in einen Trog und von dort aus in einen weiteren Trog fließt. Dort kühlt der Tran ab und wird daraufhin in Holzfässer geschöpft. Schließlich werden sie zugenagelt und stehen nun für den Vertrieb bereit.

Mehr über die Verarbeitung der Wale:

Before After

Auch die Barten des Nordkapers und des Grönlandwals waren in Europa vor der industriellen Herstellung synthetischer Kunststoffe sehr gefragt. Bartenwale filtern mit ihren Gaumenplatten tierisches Plankton (Zooplankton) inklusive Krill aus dem Meerwasser, von dem sie sich ernähren. Barten sind sehr stabil und zugleich elastisch. Die bis zu 300 Bartenpaare des Nordkapers beziehungsweise die bis zu 400 Bartenpaare des Grönlandwals, die über vier Meter lang werden können, wurden nach dem Zerschneiden des Walspecks mit Bartenmessern oder -beilen voneinander getrennt, entfleischt und getrocknet.9

Das aus den Barten hergestellte Material wird als „Fischbein“ bezeichnet, obwohl es sich nicht um Knochen („Bein“), sondern um Horn handelt. Die feinere Bearbeitung der Barten übernahmen sogenannte Fischbeinreißer an Land. Die einzelnen Barten wurden voneinander getrennt, gespalten und für die Weiterbearbeitung mit Messern in heißem Wasser eingeweicht.

Die Halbfabrikate wurden dann von verschiedenen Gewerken zu Korsettstäben, Reifröcken, Schirmgestellen und -stöcken, Dosen, Kämmen, Messergriffen und vielem anderen mehr verarbeitet. Die Endprodukte wurden zum Beispiel an Damen und Herren in Metropolen wie London, Paris oder Berlin verkauft.

Beide Dosen wurden aus Barten angefertigt. Für die Herstellung der Seiten wurden diese gebogen und an den aufeinandertreffenden Enden zusammengenäht, wahrscheinlich mit Bartfasern. Deckel und Böden bestehen aus Holz, das gefasst wurde. Die Holzteile wurden mit den Barten vernagelt.

Diese aus einer Walbarte angefertigte flache Stange war biegsam und wurde wahrscheinlich als Stütze in einem Korsett verwendet. Mit Miedern oder Korsetts schnürten sich Frauen seit dem 16. Jahrhundert und noch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts der jeweiligen Mode entsprechend eine schlanke Taille bis hin zur Wespentaille. Die häufige Nutzung eines Korsetts konnte nicht nur zur Verformung der Wirbelsäule, sondern auch dazu führen, dass sich Organe verschoben oder sogar durch Rippen beschädigt wurden. Eventuell diente diese Stange später auch als Brieföffner.

Da der Atlantische Nordkaper seit dem 16. Jahrhundert bejagt wurde, waren seine Bestände im Ostatlantik bereits im 17. Jahrhundert so dezimiert, dass sich die europäischen Grönlandfahrer stattdessen vermehrt dem Grönlandwal zuwandten. Vor den Kolonien Neuenglands an der Nordostküste der USA gab es noch größere Bestände des Atlantischen Nordkaper, die dann im 17. und 18. Jahrhundert fast ausgerottet wurden. Hier liegt auch Nantucket, vom 18. bis frühen 19. Jahrhundert der größte Walfanghafen der Welt, in dem Ishmaels Reise in Moby Dick beginnt.10 Der Pazifische Nordkaper wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts fast ausgerottet.

Grönlandwale können bis zu 200 Jahre alt werden, nach damaliger Lebenserwartung also etwa drei Menschenleben. Damit sind sie die Säugetiere, die am längsten leben können.

Literatur zur Walverarbeitung

Jens Jacob Eschels: Lebensbeschreibung eines alten Seemannes von ihm selbst und zunächst für seine Familie geschrieben (1835). Husum 2014.

Jan I. Faltings: Föhrer Grönlandfahrt im 18. und 19. Jahrhundert und ihre ökonomische, soziale und kulturelle Bedeutung für die Entwicklung einer spezifisch inselfriesischen Seefahrergesellschaft. Husum 2011 (Schriftenreihe des Dr.-Carl-Häberlin-Friesen-Museums, N.F., Heft 25).

Sebastian Lehmann: Föhrer Walfang. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte einer nordfriesischen Insel in der Frühen Neuzeit. Teil 2. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv 24 (2001), S. 157–186.

Felix Lüttge: Auf den Spuren des Wals. Geographien des Lebens im 19. Jahrhundert. Göttingen 2020.

Herman Melville: Moby-Dick or The Whale. San Diego 2014.

Herman Melville: Moby-Dick oder: Der Wal. Übersetzt von Friedhelm Rathjen. 2. Aufl. Salzburg und Wien 2016.

Joachim Münzing: Der historische Walfang in Bildern. Herford 1987 (Sammlungen des Altonaer Museums in Hamburg, Heft 13).

Joshua L. Reid: Whale Peoples and Pacific Worlds. In: Ryan Tucker Jones, Angela Wanhalla (Hrsg.): New Histories of Pacific Whaling. RCC Perspectives. Transformations in Environment and Society 5 (2019), S. 113–118, doi.org/10.5282/rcc/8970.

Uwe Steffen: Der erfolgreichste Walfänger der Nordfriesen. Matthias der Glückliche und seine Zeit. Bredstedt 2009.

1 Die erste wissenschaftliche Maßeinheit für die Lichtstärke war die „Standardkerze“. Sie beruhte auf der Brenndauer von einem Pfund Walrat, so Steffen 2009, S. 26.

2 Zu den in diesem Kapitel geschilderten Abläufen Faltings 2011, S. 143–159. Steffen 2009, S. 56–59.

3 Die Gattung Eubalaena umfasst drei Walarten aus der Familie der Glattwale (Balaenidae), zu der auch der Grönlandwal gehört: den Atlantischen Nordkaper (Eubalaena glacialis), den Pazifischen Nordkaper (Eubalaena japonica) und den Südkaper (Eubalaena australis), die alle Bartenwale sind. Die Gattung Eubalaena wurde 1864 vom britischen Zoologen John Edward Gray (1800–1875) vorgeschlagen. Bereits 1758 führte der schwedische Zoologe und Taxonom Carl von Linné (1707–1778) die Gattung Balaena ein, er hielt die drei Arten noch für eine. Welche der drei Walarten auf dem Zahn dargestellt wurde, kann wegen dessen unbekannter Herkunft nicht festgestellt werden. Ebenso ist fraglich, ob Skrimshander im 19. Jahrhundert bereits alle drei Walarten unter dem Terminus „Right Whale“ subsumierten.

4 Vgl. hierzu Lüttge 2020, S. 179f. mit Abb. 31, der auf diesen Bildertyp des „cutting-in-pattern“ hinweist, der erstmals Ende des 18. Jahrhunderts erschien.

5 Faltings 2011, S. 155.

6 Mehr zur Heuer auf Walfängern bei Faltings 2011, S. 96–105 sowie Lehmann 2001, S. 162f. Es wurde zwischen Festlohn („Monatsfahrer“) und Leistungs-/Erfolgsbeteiligung („Partfahrer“) unterschieden.

7 Faltings 2011, S. 156–158, erläutert dies an einem Beispiel aus dem 18. Jahrhundert. Ob eine solche Zusammenarbeit für beide Seiten gewinnbringend war und auf Augenhöhe erfolgte, konnte in diesem Rahmen nicht untersucht werden. Der Föhrer Kapitän Eschels 2014, S. 79, schildert die Inuit und ihr Jagdwissen respektvoll. Reid 2019, S. 114f. führt Gründe an, warum als „whale people“ bezeichnete Indigene im Pazifik auf Walfang gingen: Sie hatten (mit ihren Frauen) Beziehungen zum Meer und zum als Individuum angesehenen Wal, für den sie Verantwortung übernahmen.

8 Diese Trankocherei diente wohl primär der Verarbeitung von Robbenspeck, da das Walvorkommen im Nordmeer schon stark abgenommen hatte. Das Prinzip ist jedoch dasselbe.

9 Steffen 2009, S. 100. Faltings 2011, S. 155.

10 Vgl. hierzu Melville 2014, Kap. 2: The Carpet-Bag.